Der Friedhof

Geisterhafte Stille zog ihre dumpfe Bahnen um die Füße der Betroffenen. Eine eisige Kälte kauerte in den Herzen und ließ alles blass aussehen.

Niemand gab einen Laut von sich, als der Pfarrer seine Worte sprach, während der Sarg langsam herab gelassen wurde.

Sie stand zwischen dem schwarzen Wall. Ihre Haare wehten im Wind, vermischten sich mit dem eisigen Regen. Sie hatte die Hände vor ihren Körper gefaltet und regte sich nicht.

Ihr Blick schien kalt und leer auf das Grab gerichtet zu sein, wo langsam die leiblichen Überreste verschwanden.

Irgendwo schnäuzte jemand ins Taschentuch.

Ein dumpfes Klong kündigte die Ankunft des Sarges an. Eine Frau schrie laut auf und fiel schluchzend zu Boden. Andere Gäste, die weniger mit diesem Menschen zu tun gehabt hatten, setzten sich langsam in Bewegung zu der Schüssel mit den Blumen.

Sie standen an, um dem Toten Blumen auf den Sarg zu sträuen.

Das Mädchen schnaubte. Ein Brauch, der diesen Menschen eh egal sein würde. Er war tot, sah es nicht mehr. Vielleicht konnten die anderen so besser abschied von ihm nehmen, doch sie fand es unsicher.

Nach und Nach leerte sich der Friedhof. Der Pfarrer hatte sich schon still und heimlich mit der Kapelle verzogen.

Sie stand noch immer im Regen und beobachtete die Angehörigen und Freunde. Die Frau hatte sich langsam beruhigt und warf zitternd ihren letzten Abschiedsgruß in das tiefe Loch hinein.

Das Mädchen hörte das Aufkommen der Blumen auf dem Sarg genau. Ein monotones Tacken.

Die letzten Menschen zogen ohne sie eines Blickes zu würdigen stumm an ihr vorbei. Sie stand noch immer, mit erhabener Statur, blickte geradeaus. Nur dem letzten sah sie nach.

Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen.

Schnell wandte sie sich wieder um und ging mit langsamen Schritten auf das Loch zu. Die Todengräber, die langsam herankamen, blieben stehen und beobachteten sie flüsternd.

Mit wehendem Kleide blickte sie herab auf das schwarze Holz. Eine eiseren Faust schloss sich um ihr Herz.

Es tat weh.

Der Wind heulte auf und blies eisige Regentropfen in ihr Gesicht.

Doch sie merkte es nicht.

Ihre Händen verkrallten sich in ihrem Kleide, aber sie spürte keine Tränen. Nur innere Leere.

Wehmütig wandte sie sich wieder ab und nickte den Totengräbern kurz zu.

Ohne Eile schritt sie vom Friedhof.

Hinder dem schmiedeisernen Tor blieb sie noch mal stehen und blickte mit zusammengekniffenen Augen auf den Glaskasten, in dem die Termine des nächsten Gottesdienstes drin hangen.

Ihr Blick verdüsterte sich.

Mit einem erstickten Schrei rammte sie ihre Faust mit voller Wucht in das Fenster. Splitter bersteten auf und stoben in alle Richtungen. Es klirrte und krachte, doch niemand kam herbei, um nach der Ursache zu schauen.

Blut strömte ihre Hand herunter, doch sie störrte es nicht.

Beinahe mit Hass blickte sie die nun schief hängenden und mit etwas Blut besprenkelten Termine an.

Gott holte ihn auch nicht mehr zurück.

Gott hatte ihn sterben lassen.

Er... war jung gewesen.

Zu jung.

Sie... war gläubig gewesen.

Zu gläubig.

Mit blutender Hand wandte sie sich endgültig von der Kirche ab und ging.

Sie drehte sich nicht noch einmal um.


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